Jakobsweg Nürnberg – Konstanz

Meine fünf Vorsätze für diese Pilgerwanderung vom 5. März – 20. März 2020


1. Natur erleben und Kopf frei machen und nicht an meine Krankheiten denken.
2. Wenig Handy- und Internetnutzung: nur für die  Harz-Vermietungen,
für den Jakobsweg (Unterkünfte etc.) und zur Dokumentation.
3. Gesund ernähren.
4. Bewusster Verzicht auf Schweinefleisch und Würstchen,  Süßigkeiten und Alkohol.
5. Jeden Morgen den Bart rasieren.

5. März 2020/1

Mein 1. Pilgerpass kommt zum Einsatz. Ich hoffe, dass ich im wahrsten Sinne des Wortes den richtigen Weg finde. Und mein ältester Bruder schreibt: Bernhard -und dir- wünsche ich eine erfolgreiche Pilgertour, möchte Gott dich begleiten und beschützen. Danke.
Ich habe mich bewusst für ein Teilstück des Jakobsweges in Deutschland entschieden, denn meine Fremdsprachenkenntnisse werden erst ab Mai aufgefrischt. Als vierfacher Harzwanderkaiser bin ich hoffentlich so gut im Training, dass ich die knapp 400 Kilometer Wanderstrecke schaffe.

5. März 2020/2
Heute geht es los. Bin seit Sonntag sehr aufgeregt und danke für die Unterstützung meiner Familie.

Nach meiner Ankunft um 11.25 Uhr in Nürnberg begebe ich mich zur ev. Jakobskirche, Jakobsplatz, und werde dort um 12.00 Uhr den 1. Stempelabdruck in den Pilgerpass vornehmen.

5. März 2020/3

Mein Rucksack der Marke „Tatonka“ -Recco Kings Peak fasst 45 Liter Stauraum. Ich habe mich an veröffentlichten „Packlisten“ orientiert und komme auf 6,2 Kilogramm Gewicht für Kleidung und mehr. Hinzu kommt noch Wasser und Erstproviant, das macht zusammmen 8,4 Kg. Ich liege somit 0,7 Kg über dem empfohlenden Gewicht von 10% des Körpergewichts.

05.03.2020/4

Trotz Ersatzzug pünktlich in Nürnberg angekommen.  Auf der Fahrt hatte ich einen netten Sitznachbarn, der aus Norddeich kommt.  Er selbst vermietet auch Ferienwohnungen und wir haben uns über die Auswirkungen des Coronavirus unterhalten. Direkt vom Bahnhof ging es dann zur St. Jakob Kirche in die Innenstadt.  Den Stempel konnte ich direkt im Pilgerzentrum finden. Ich war heute Pilger Nr. 6. Das hat alles perfekt geklappt. 

05.03.2020/5

Der Jakobsweg ist super ausgeschildert.  Aufkleber mit dem Muschelsymbol an den Pfosten der Verkehrsschilder weisen den Weg.  Irgendwie wollte ich schnell aus der Innenstadt raus… über Hammelstein und Gartenstadt ging es entlang und dann kam die schönste und längste Strecke direkt am Ludwig-Donau-Main-Kanal bis nach Wendelstein.  Erstaunlich war für mich am 1. Tag,  mit wievielen fremden Menschen man automatisch in Kontakt kommt. Da war der Bauhofmitarbeiter, der mit einem Wurfseil abgebrochene Äste aus dem Baumwipfel zog. Einfache Methode und so schön anzusehen,  wenn andere arbeiten.  Die ältere Frau,  die selbst mehr keinen Hund aufgrund ihres Alters bekommt (Warum eigentlich?) und sich 2x pro Woche einen Gassihund holt…. nach 22,5 Kilometer bin ich in Wendelstein mit Dauerregen angekommen.  In der Bäckerei am Ort Frankfurter Kranz gegessen und dann ab zur Ferienwohnung.  Und jetzt schreibe ich hier und bin schon müde…

06.03.2020/1

Und schon wieder Dauerregen…. das schlug auf meine Stimmung. Es sollte aber ein schöner Tagesabschluss werden.Aber nun ganz von vorn: nach meiner morgendlichen Gymnastik (Danke an C. Wietbrauk für die hilfreichen Tipps) und einer ersten Dorfrunde in Wendelstein sah ich wie im Altdorf innerhalb kürzester Zeit ein Haus abgerissen wurde. Irgendwie komisch das man darauf achtet, denn bald wird auch das Haus der Schwiegereltern meiner großen Tochter abgerissen und mein Schwiegersohn und meine Tochter bauen an gleicher Stelle neu. Nach einigen Kilometern Richtung Schwabach sah ich im Garten eine alte gelbe Telefonzelle.  Es war schon manchmal schön ohne Handy….

06.03.2020/2

Heute hatte ich wieder viele freundliche Menschen,  die mich angesprochen haben. Ich lasse mich darauf ein. Besonders habe ich mich über die Frage eines Kindergartenmädchens gefreut,  die mich fragte, was ich alles in meinem Rucksack habe. Und das im besten Deutsch, obwohl sie aufgrund ihrer Hautfarbe mit Sicherheit nicht von hier kommt.  Aber ist es eigentlich nicht absolut unwichtig, wo man herkommt? Ja es ist unwichtig. Wichtig ist der gegenseitige Respekt.  In Schwabach angekommen,  habe ich mir im Rathaus meinen Stempel geholt und draußen warteten Freunde auf ein Hochzeitspaar, die sich im Standesamt das Jawort geben wollten. Schon wieder eine Eingebung von oben; meine kleine Tochter,  mittlerweile 25…  heiratet auch in diesem Jahr ihren langjährigen Freund  und dann wissen wir seit kurzem,  dass der Freund meiner Stieftochter ihr auch einen Heiratsantrag gemacht hat.  Zufälle gibt es….Und was es mit dem Bürostuhl auf sich hat….  bitte unten weiterlesen….

06.03.2020/3

Meine liebe Frau hatte mir einen wunderschönen Brief geschrieben und im Rucksack versteckt, den ich gestern erst gefunden und gelesen habe. Kuss. Und Sie hat mir ein Kartenspiel mitgegeben,  also ihr könnt euch schon denken: kein Skat oder Romme‘ Blatt, es ist ein eigenes Wegbegleiterspiel mit selbst geschriebenen Karten. Jeden Tag darf/muss ich eine Karte ziehen.  Die gezogene Karte soll dann mich den nächsten Tag begleiten.  Auf der Karte stand: Gleichgewicht!Und heute komme ich an diesem Bürostuhl am Wegesrand des Jakobswegs vorbei und sage zu mir Volltreffer. Ja, auf das Gleichgewicht von Beruf und Privatleben hätte ich die letzten 20 Jahre achten müssen. 

06.03.2020/4

Das hört sich alles so entspannt an, war es aber nicht… Dauerregen, Dauerregen, ich habe schon geflucht… das darf man 5 Sekunden… Und die Krönung habe ich gebracht,  in dem ich die falsche „Abfahrt“ genommen habe und einen riesigen Umweg laufen musste.  Es waren 8 km mehr. Ich bin erst zweimal im meiner langjährigen Wanderzeit über 30 Kilometer gelaufen und heute waren es 31,5 Kilometer.  In Abenberg angekommen,  musste ich feststellen,  dass meine vorgesehene Pension geschlossen hatte. Und wieder geflucht für 5 Sekunden…  und dann der 1. Lerneffekt: Bernhard geh erstmal was essen. Das habe ich ausgiebig gemacht und dann kam mir die Idee, dass vielleicht in der Burg Abenberg ein Hotel ist. Im Internet bei HRS gefunden und ein Gästezimmer im Nebenhaus für einen Billigpreis gebucht. An der Rezeption angekommen erzählte ich der sehr jungen Hotelfachfrau, dass ich gerade auf dem Jakobsweg wandere. Die war total erstaunt,  genauso wie der Ergo-Mitarbeiter, der mich gleich ausfragte. Und dann kam der Hammer: die supernette Hotelfachfrau fragte mich, ob ich denn nicht für nur 10 Euro mehr im Turmzimmer übernachten möchte. Ich hatte vorher bei HRS gesehen, dass eine Übernachtung dort das Doppelte kostete.  Ich sagte natürlich zu und bedankte mich ausdrücklich.  Sie sagte: das mache ich nur für Sie. Und jetzt bin ich im obersten Turmzimmer (rechtes Fenster), schone meine überanstrengten Knochen und sage danke für die vielen Gästebucheinträge.

07.03.2020/1

Was ich heute alles Schönes erlebt habe, das ist kaum zu glauben. Ich beweise es Euch: nach einer entspannten Nacht habe ich im Burgrestaurant besonders lecker gefrühstückt.  Ich hätte gern ein Foto davon hier veröffentlicht,  aber meine Schwester mag keine Essenbilder. Erst um 9.30 Uhr ging ich los.  Ach so, das gezogene Wort auf der Karte lautete: ICH. Na ja, was sollte ich damit anfangen….  Auf meinem Weg nach Gunzenhausen kam ich an der Weißen Säule, ein Flurdenkmal, vorbei. Ein Muss für alle Pilger. 

07.03.2020/2

Richtung Beerbach musste ich in einem Waldstück über umgestürzte Bäume Hürden laufen. Hatte ich auch viele Hürden im Leben? Heute hatte ich eine. Mein Wasser war alle und weit und breit kein Geschäft.  Schlechte Vorbereitung von mir. Ich kam aus dem Waldstück und ihr glaubt es kaum, ein Mann kam auf mich zu und begrüßte mich als Pilger.  Wir kamen ins Gespräch und ich erzählte ihm von meiner Wassernot. Ohne zu Zögern holte er mir zwei 1,5 Liter Flaschen Wasser us seiner Garage und wie selbstverständlich wollte er nichts dafür haben. Danke Uwe.Und dann schon wieder eine Hürde: direkt nach der Pflugsmühle die absolute Überschwemmung auf der Straße.  Das war der einzige Weg. Mindestens 50cm tiefes Wasser und links und rechts vom Wegrand tiefer Morast. Ein Boot war irgendwie nicht in der Nähe. Ich wollte gerade meine Wanderschuhe ausziehen, die Außentemperatur war übrigens + 3 Grad,  da kam ein Lieferwagen angefahren und fuhr durch die Überschwemmung und hielt ohne das ich ein Zeichen gegeben habe an. Darf ich für Dich Taxi spielen fragte der freundliche Handwerker.  Sofort stieg ich mit voll gepackten Rucksack ein, er fuhr zurück  und ich konnte trocknen Fußes weiterwandern. Danke Roland.

07.03.2020/3

Gegen Mittag bin ich an meiner heutigen 1. Stempelstelle Burg Wernfels angekommen.  Eine hochmoderne Jugendherberge.  Ich fragte am Empfang nach dem Stempel und ob ich vielleicht hier Mittagessen könne? Die charmante Frau rief sofort in der Küche an und ruckzuck hatte alles funktioniert.  Und inkl. Salat, Spaghetti Bolognese und Nachtisch mußte ich nur 5 € bezahlen.  Danke Katrin – ohne h. Das Essen wurde mir in der „Alte Kanzley“ serviert, es gab auch 1l kostenloses Mineralwasser dazu. Dann ein Gekichere und eine Schnatterei: knapp 200 Jungen und Mädchen kamen auch zum Essen. Dann wurde die Tür geschlossen und alle waren auf einmal mucksmäuschenstill. Es gab ein Tischgebet. Oh, wie lange ist das her…. das war früher zu Hause auch immer schön.

07.03.2020/4

Direkt über der Burg steht die katholische Kirche St. Wenzelaus am Theilenberg.  Sehr gepflegte Aussenanlagen. Der Küster (im bay. Mesner) schloß extra für mich die Kirche auf und wir unterhielten uns über das Pilgern. Hier in Bayern sind alle total hilfsbereit und gelassener.  Und vor der Kirchentür gab es einen Stempelkasten mit einem Pilgerstempel, der noch nicht auf meiner Liste stand.  Das gebe ich gleich weiter. In Zeiten des Coronavirus können viele noch von den Pilgern lernen: Händewaschen am Wegrand. 

07.03.2020/5

Habt ihr es auch bemerkt, das ich über das Wandern selbst gar nicht schreibe? Das Wandern ist eigentlich Nebensache, ich habe viele Gedanken.  Und dann musste ich heute den ganzen Tag an „ICH“ denken.  Klar habe ich heute viele Wanderschleifen in einer Gesamtlänge von 38,2 Kilometer gemacht,  bin um Scheisshaufen auf der Wiese gelaufen und habe meine Handschuhe verloren und musste zwei Kilometer zurückwandern. Hat das eigentlich etwas mit meinem Leben zu tun? Klar, ich habe eine Schleife in meinen Ehen gedreht, musste in anderen Dingen manchmal der Sch..  aus dem Weg gehen und manchmal auch die Sch.. selbst machen und auch im Leben mal zurücklaufen… ein besseres Wort fällt mir leider nicht ein. „ICH“ bin trotzdem sehr zufrieden mit meinem Leben und akzeptiere das Vergangene.Oh je, ich bin heute spät dran… mein Bett pfeift. Bin übrigens im Adlerbräu in Gunzenhausen und habe ein Pilgerupgrade bekommen.  Tolles Hotel, das habe ich mir heute wieder gegönnt,  weil ich so viele Kilometer gewandert bin – als Belohnung. 

08.03.2020/1

Vielen lieben Dank an alle für die besten Wünsche zu meinem 57. Geburtstag. Das hat mich total glücklich gemacht und das besondere war, das sie sehr herzlich waren. Ich selbst habe den Tag mit einem ausgiebigen und außergewöhnlichen Frühstück im Adlerbräu begonnen.  Dabei wollte ich mich in keinster Weise ablenken lassen und es genießen. Das Handy blieb also auf dem Zimmer. Beim Frühstücken habe ich jeden einzelne Bissen genossen, habe die Augen geschlossen und einfach mal an nichts gedacht.  Dieses Spiel kennt mein Enkelkind.  Der Frühstücksraum war voll und ich hörte häufig: wie bitte? Das kommt davon, wenn man isst und dattelt.  Und dann Überraschung pur: vom Hotel bekam ich ein Rose und eine kleine Flasche Sekt  mit einer liebenswürdigen Karte.  Ich war perplex.  Den Sekt und die Rose verschenkte ich an eine hübsche Frau. Der Ehemann hat aber geguckt….Ach so das heutige Kartenwort lautete: Leichtigkeit.  

08.03.2020/2

Auf dem Weg Richtung Hohentrüdingen haben mich 7 Rehe auf dem langgezogenen Feld begleitet und immer wieder zu mir rübergeguckt, als ob sie sagen wollten, dass ist doch eine Leichtigkeit hier den Berg hochzuwandern. An die Rehe erinnerte ich mich immer wieder,  denn auf dieser Wegstrecke waren doch viele Höhenmeter zu überwinden.  Und dann haben ich noch an den Förster Peter Wohlleben gedacht, der sagte ihr dürft im Wald ruhig laut sein, denn dann wissen die Tiere,  dass hier jemand ist. Nur die Jäger sind ganz leise. Ich habe einfach mal laut gesungen.  Weiter in  der kath. St. Michael Kirche in Gnotzheim angekommen,  sah ich eine sehr geschmückte Kirche.  Ist wohl bald Erstkommunion. Und dann konnte ich nicht widerstehen: vor dem Altar stand die Handglocke der Messdiener und ich läutete diese kräftig für meinen verstorbenen Bruder Michael.  Ist auch schon fast 5 Jahre her…

08.03.2020/3

In Heidenheim sah ich bereits das Münster des ehemaligen Benediktiner Klosters.  Da kaufte ich mir einige Postkarten.  Ich kann leider nicht allen eine Karte schicken, verdient haben ihr alle es. Dort gab es auch wieder einen Pilgerstempel. Der ortsansässige Touristenführer mit ca. 10 Besuchern fragte mich und unterbrach seinen Vortrag: sind sie auf dem Jakobsweg? Wir haben Sie heute schon zweimal gesehen….In Hohentründigen musste ich dringend eine Pause einlegen. Das nennt man wohl hier Brotzeit.  Dazu nutzte ich die Bank des einzigen öffentlichen Kinderspielplatzes. Ich saß gerade, da kam ein junges Mädchen angelaufen und fragte gleich: was machst du hier.  Es war wohl ihr „eigener“ Spielplatz. Ich erklärte alles. Und dann schoss es aus ihr heraus: 5 Jahre, Elina, hat am 4.6. Geburtstag und hat jetzt schon einen Ranzen. In Kürze zieht sie mit ihren Eltern in ein neues Haus und sie darf sich sogar die Farbe ihres Zimmers aussuchen.  LILA. Oh je, ich versuchte sie zu überzeugen. Fehlgeschlagen.  Ach übrigens,  sie bekommt dann auch einen Hamster.

08.03.2020/4

Durch mein langes Gespräch mit Elina kam ich so ein bisschen in Zeitnöte. Erst gegen 19.30 Uhr war ich in Oettingen nach 39,1 Kilometer angekommen.  Im Hotel Goldene Gans,  übrigens das einzige vor Ort, buchte ich ein Zimmer.  Im Hotel ist die Zeit stehengeblieben, ich denke das Hotel müsste in einfache Herberge umgetauft werden.  Dieses Alleinstellungsmerkmal in Oettingen habe ich auch im Übernachtungspreis gespürt.  Na ja, ich bin ja auch nicht im Urlaub.  Fast vergessen: hier vor Ort wird das Oettinger Bier gebraut.  Ich mag irgendwie aktuell kein Bier. Ein Wunder? Und zum heutigen Tagesabschluss noch etwas zum Weltfrauentag.  Hier sind am 15.3. Kommunalwahlen in Bayern und auf den Parteilisten, es gibt unbeschreiblich viele Plakate, kandidieren nur wenige Frauen und bei den ersten Listenplätzen sind kaum welche zu finden? Was ist hier los?Fast vergessen: das Wort Leichtigkeit kommt in den Themenspeicher. 

09.03.2020/1

Gestern bin ich zu viel gewandert. Und was habe ich für heute eine Karte gezogen? Langsamkeit. Passt fürs Tagesmotto. Beim einfachen, aber reichhaltigen Frühstück kam ich mit der Frau der Herberge…. in Kontakt.  Die Eltern sind verstorben und auch ihre Geschwister wollten nicht Wirt/Wirtin sein. Das Areal mitten in der Innenstadt umfasst ca. 2500qm und das Haus steht unter Denkmalschutz.  Jetzt hat der Neffe es gepachtet und aus dem Lokal ist jetzt eine Kneipe geworden.  Na ja , die arme Frau musste sich von mir 15 Minuten tolle Ratschläge anhören… tut mir leid. Ich habe sie ungefragt mit Rat geschlagen.  Beim rewe holte ich diesmal rechtzeitig Wasservorräte. Die Kassiererin freute sich unbeschreiblich,  als ich erzählte,  dass ich auf dem Jakobsweg wandere. Und alle Kunden nach mir waren in einer lebhaften Diskussion dabei. Ich dachte so etwas passiert nur bei Aldi.

09.03.2020/2

Heute musste ich viele Strecken auf Asphalt gehen.  Aua. Wusstet ihr eigentlich , dass die Straßenpfähle innen nicht mehr mit Holz gefüllt sind, sondern mit Plastikstreben? Ich habe heute einen von oben offenen Pfahl gesehen. Sehr originell fand ich übrigens das Klo für Pilger am Wegesrand.  Was will man mehr… frische Luft weit und breit. 

09.03.2020/3

Jetzt aber zum Tagesmotto Langsamkeit zurück. Ich gehe da wieder so daher, immer Kopf nach oben zu den Muschelschildern und was sehe ich unten: eine alte Küchenbank. Hey sage ich mir: ist unter Langsamkeit zu verstehen,  wenn die eigene Ehefrau seit mehr als 5 Jahren überlegt sich eine neue Küche anzuschaffen oder wenn der zukünftige Stief-Schwiegersohn mit meiner Stieftochter sich vor mehr als zwei Jahren einen alten Käfer gekauft haben und dieser bis heute noch nicht fertig restauriert ist? Ihr könnt es selbst entscheiden.  Na gut, ich will jetzt langsamer essen. Bisher war mein Spruch: so schnell wie ich esse arbeite ich auch. Jetzt bin ich ja Pensionär und kann das getrost ändern. 

09.03.2020/4

Es waren heute schon wieder so viele Kilometer: 31,3. Die letzten 5 Kilometer waren sehr schmerzhaft. Jetzt habe ich am linken Fuß am Hacken eine Blutblase. Strafe muss sein. Nee. Ich profitiere von der Nebensaison und habe mich im Klösterle in Nördlingen eingemietet. Im Zimmer 133 erwartete mich eine seit Jahren vermisste Überraschung: eine Badewanne.  Schnell habe ich richtig heißes Wasser eingelassen und habe endlich mal wieder in meinem eigenen Dreck baden können.  Herrlichst. Ich werde morgen sehen,  ob es auch meinen Knochen geholfen hat. Zum Feierabend eine kleine Aufgabe: was müssen die jungen Eltern hier in Bayern für eine Aufgabe bewältigen. Ich weiß es nicht… gern ins Gästebuch schreiben.  Gute Nacht ihr Lieben.

10.03.2020/1

Nass wie ein Pudel, gute Laune und viele angenehme Gespräche, so lässt sich der heutige Tag beschreiben. Mit einem feudalen Frühstück im Klösterle in Nördlingen startete der Tag. So etwas hätte ich gern jeden Tag zu Hause… na gut, es reicht schon sonntags.  In der Nacht hatte mich schon das Stichwort „Dürfen“ ausgiebig beschäftigt, was gleich morgens zu diversen Notizen in meinem Buch führte. Das muss aber während der Tour noch reifen. Gereift ist bei mir in den Tagen und Wochen vor der Anreise nach Nürnberg, dass jeder selbst entscheiden darf, was er darf oder einfach nicht will. Ich bin von meinen Eltern so erzogen worden, wie meine Eltern von ihren Eltern oder Pflegeeltern erzogen wurden. Wir durften oft nicht frei entscheiden und Disziplin und Muss standen im Vordergrund.  Ich bin froh darüber, dass unsere junge Generation viel viel weiter ist. Für uns „Alten“ ist das eine neue Situation: Akzeptieren heißt für mich das Stichwort.  Letztendlich trägt jeder selbst für seine Entscheidung die Verantwortung.  Und wär sich über eine Entscheidung von außen ärgert, der ärgert sich über sich. Uff, das war schwierig.  Ich habe heute im wahrsten Sinne des Wortes Ballast abgeworfen: ein Päckchen mit unnötigen Sachen ist auf dem Weg nach Hause. 1,2 Kilogramm weniger zu schleppen. 

10.03.2020/2

Es hat den ganzen Tag geschüttet. Ich war klitschnass und das erinnerte mich an das Pokalenspiel in der D-Jugend vor unendlichen Jahren in Bisperode, wo ich als Torwart den Kasten freigehalten habe und hinterher musste die gesamte Kluft ausgewrungen werden. Dieser Sieg hat mich heute beflügelt.  
Wusstet ihr eigentlich,  dass zur Befestigung der Froschnetze an der Straße gedrehte Schweinehaken verwendet werden und dass Windkrafträder im Winter mit Eis herumschmeißen? 
Hoffentlich schreibe ich jetzt nichts falsches,  ich bin wohl gerade in Schwaben… und Schwaben sind so sagt man genau und sparsam. Ich bin jedenfalls an bestimmt 10 Tannenbaumplantagen vorbei gewandert und jede Plantage hatte 100 x 100 Bäume=10.000 Stück mit unterschiedlichen Pflanzzeiten. Wenn also der Besitzer jedes Jahr eine Plantage zu Weihnachten komplett verkauft,  dann hat es bei einem Preis von 20€ Stück =200.000 Euro Umsatz. Und die Bäume wachsen von ganz allein… Was mir so alles blödes durch den Kopf geht….

10.03.2020/3

Kurz vor dem Ziel des Klosters Neresheim traf in einem älteren Mann.  Wir kamen ins Gespräch. Er erzählte, dass er vor 35 Jahren eine Freundin aus Hildesheim hatte und sie schwanger wurde. Sie wollten heiraten.  Er war bei der Marine und als er wieder kam hatten die Eltern den Schwangerschaftsabbruch und den Verbot des Kontaktes entschieden. Früher durfte man nicht…  leider keine schöne Geschichte.  Der Mann war total aufgewühlt und traurig.  Im Kloster bin ich bestens untergebracht. Es war heute natürlich Waschtag. Im Klosterrestaurant aß ich mit meinem Zimmernachbarn spontan zu Abend. Dieter arbeitet in der Textilforschung und hat sich ein paar Tage Auszeit genommen.  Sein Klosterbier hätte ich gern getrunken.  Seine Einschätzung zur Corona-Krise ist, dass die Nachbarländer wie Italien und Frankreich das schwer in Griff kriegen werden. In Stuttgart z.B. gibt es eine Drive-In Station für die Untersuchung.  Und richtigerweise bemängelt er, dass die Rufe nach Unterstützung der Wirtschaft immer lauter werden, aber der Mensch in dieser Situation keine Rolle spielt. Ja  das ist einfach so, der Mensch steht in der Gesellschaft nicht mehr im Mittelpunkt.  Für die Statistiker unter uns, zum Beispiel mein ältester Bruder, heute waren es 24,8 Kilometer. Ich bin ja im Kloster und deshalb bekommt ihr zum Tagesabschluss einen Bibelspruch, ob ihr wollt oder nicht. Bei der Suche habe ich die Methode angewandt: Bibel durchblättern und Finger rein. Das ist bei raus gekommen: Kapitel Weisheit 16,16: ….ungewöhnliche Regengüsse   Hagelschauer und schreckliche Wolkenbrüche peitschen auf sie nieder und Feuer verzehrte sie. Das Seltsamste war, dass das Wasser,  das sonst alles löscht, die Kraft des Feuers noch verstärkte….. Gute Nacht ihr Lieben 

11.03.2020/1

Ich hatte hier noch gar nicht erzählt, dass ich immer dann aufstehe, wenn ich aufwache. Wecker muss ich nicht haben…. und was sehe ich heute bewusst in der Dusche: Lux-Seife. Das war unsere Seife aus der Kindheit,  die eigentlich nur mein Vater benutzen durfte. Weil sie so gut riecht. Also der Geruch der Seife hat sich nicht geändert.  Beim Frühstück kam Dieter dazu, ohne das wir uns verabredet hatten.. ich beobachtete ihn und stellte erst heute fest, dass er Linkshänder ist. Und er meinte, so direkt hätte das noch keiner erkannt und gesagt, weil er eigentlich zum Beispiel beim Brotschmieren mal das Messer in der linke und mal in der rechten Hand nimmt.

11.03.2020/2

Seit gestern habe ich irgendwie immer Gedanken zur Kirche. Kommt wohl vom Schlafen im Kloster, obwohl es schon eine Herausforderung war mit Begrenzung am Fußende zu liegen. Mein erster Weg führte mich nach Auernheim in die St. Georg-Kirche. In der wunderschönen kleinen Kirche gab es den 1. Pilgerstempel.  Und als Dankeschön für das heutige schöne Wetter habe ich ganz laut in der Kirche „Großer Gott wir loben Dich“ gesungen… das erinnerte mich an meine Messdienerzeit und dem Gesang in der Schola. Oh je, da haben wir lateinische Kirchenlieder gesungen. Eben alles zu seiner Zeit und bei den Eltern waren wir damit die Besten. Ach ja und auf dem Weg zur Kirche hat ein Jogger angehalten und mich gefragt,  ob ich denn im Kloster ein Zimmer bekomme hätte? Er hatte im Café gesessen,  wo ich die Bedienung gefragt hatte. Ich schein hier wohl Dorfgespräch gewesen zu sein. Besser so als anders. 

11.03.2020/3

Und fast hätte ich es vergessen: das heutige Tagesmotto lautete: Wärme. Also vom Wetter hat es gepasst. Aber das wars nicht allein. Ihr wisst ja, ich bin ein Familienmensch und genieße die herzliche Wärme meiner Frau und meiner Kinder. Die große Familie mit vollster Zufriedenheit steht für mich ganz oben. Und wenn die oder der andere die Wärme nicht spürt, dann würde ich mit der Erkenntnis meiner Pilgerwanderung heute sagen: mach die Heizung auf Stufe 5 an  vielleicht klappt es dann auch mal mit der Wärme und Herzlichkeit.  Am späten Nachmittag erreichte ich die St. Martin Kirche in Staufen. Bei diesem Kirchennamen vielen mir zwei liebe Menschen ein. Mein Cousin Martin,  der seit vielen vielen Jahren Leukämie hat und schon seine zweite Stammzellenbehandlung hinter sich hat.  Es scheint diesmal zu klappen.  Ich drücke von hier die Daumen. Und dann noch von meiner Frau besten Freundin der Mann Martin, der Pastor ist und hauptberuflich an einer großen Berufsschule in Bielefeld unterrichtet.  Martin hat die Ruhe weg und ist sehr beliebt.  Martin könnte ein Vorbild für mich werden,  aber nicht das ihr denkt nach so vielen Berichten über Kirche und Weisheiten,  dass ich Pastor werden will…..

11.03.2020/4

Wisst ihr eigentlich, wie meine Frau auf die Idee gekommen ist, dass ich jeden Tag eine Karte aus dem Wegbegleiter-Umschlag als Aufgabe kriege? Nein? Dann müsst ihr mal das Buch „Die fünf Sprachen der Liebe“ lesen und dann wisst ihr auf was der Partner besonders wertvoll reagiert. Nach 27,9 Kilometer bin in in der Steiff-Stadt Giengen angekommen.  Jetzt sitze ich mutterseelenallein hier im Hotel und behandle meine sehr schmerzhaften Füße.  Aber das wird schon wieder werden.  Die schönen Erinnerungen und Erlebnisse überdecken alles.  Bleibt alle wohlbehütet! …. der Nichtpastor Bernhard. 

12.03.2020/1

Mit einem strahlenden Gesicht bin ich heute erst um 8.45 Uhr aufgewacht. Na, wie heißt das Stichwort? Natürlich: Strahlen. Als ich gestern Abend das Wort zum 1. Mal auf der Karte sah, da dachte ich sofort an unsere Elbfahrradtour mit meiner Frau, als wir vor dem Ortsschild von Gorleben standen.  Ich sagte zu ihr: durch diesen Ort müssen wir aber mit Vollgas durchfahren. Auf meiner heutigen Wegstrecke führten mich die Muschelschilder nach Hürben. Der direkte Aufstieg zur dortigen Höhle war aufgrund einer Sperrung nicht möglich.  Natürlich umkreuzte ich die Sperrung und von oben rief ein Bauarbeiter: da ist gesperrt. Ich weiß rief ich zurück,  ich pilgere hier nur. Oben angekommen führten wir ein gutes Gespräch und er sagte zum Schluss: du kannst ruhig weitergehen,  wir suchen dich aber nicht, wenn du abgestürzt bist. Das war echt eine lustige Ansage,  die mich natürlich nicht davon abhielt weiterzuwandern. Na ja, die Sitzbank auf dem Weg ist schon saniert…

12.03.2020/2

Heute habe ich den ersten Schmetterling gesehen. Einen Gelben! Dann ist die Luft hier auf der Schwäbischen Alb bestens.  Im Hotel hatte ich mich heute sehr gut mit Marschverpflegung eingedeckt.  Ich hatte jetzt zum 3. Mal in Folge direkt gefragt, ob ich mir vom Frühstücksbuffet Wegzehrung mitnehmen darf. Das klappt bestens,  es gibt sogar Brotbeutel dafür…. ist doch irgendwie besser   als wenn man mit ausgebeutelter Jacke an der Bedienung vorbei geht. Meine 1. Pause machte ich nach drei herrlichen Sonnenstrahl-Stunden. Und diesmal konnte ich dabei sogar liegen.

12.03.2020/3

Auf meiner heutigen Strecke von 23,4 Kilometern hatte ich häufig Wind von vorn, so dass ich richtig dagegenhalten musste.  Hatte ich das in meinem Leben auch schon mal kennengelernt? Bestimmt.  Nachmittags kam ich in einem Ort an einer Straßenbaustelle vorbei.  Das Bauloch war vielleicht 10m lang und 2m breit.  Von der ausführenden Firma schauten 5 Arbeiter einem „armen“ Mann in der Grube zu und 4 Mitarbeiter von den Stadtwerken. Das war wie im Stadion: 9 Trainer. Als die Kirchenglocke aber 16.00 Uhr schlug,  war von jetzt auf gleich die Baustelle geschlossen.  Man konnte richtig sehen, dass erst im Endspurt gearbeitet wurde. 

12.03.2020/4

Um 16.30 Uhr bin ich dann mit weiter schmerzhaften Füßen in Nerenstetten angekommen.  Ich wohne im Gasthof Adler. Einfach, toll strukturiert,  Zimmer renoviert.  Also im alten Gastraum sitzt man am Tisch mit blanker Tischplatte.  Kein Gedöns drauf.  Das Essen wird frisch zubereitet.  Es gab Rinderbraten mit Spätzle und Salat. Leckerer. Nach dem Essen kam ich mit zwei Handwerkern ins Gespräch, die schon seit Jahren hier immer mal wieder einkehren. Schnell war das Thema Burnout von einem genannt, der das selbst durchgemacht hat und sich das hätte nie vorstellen können. Wie wahr.Bereits gestern hatte ich mit der Wirtin telefoniert,  ob denn die Möglichkeit bestehen würde,  dass sie für mich eine Waschmaschine mit Wäsche aufsetzt.  Jetzt hängt die frisch gewaschene Wäsche hier auf einem Wäscheständer und riecht wieder wunderbar.  Das ist gut so… Zwischenbilanz: noch 900 Meter dann ist die Hälfte der Wegstrecke (Luftlinie) von 190,9 Kilometern geschafft. Tatsächlich bin ich schon in 8 Etappen 240 Kilometer gelaufen.  Ich werde aber deutlich langsamer, was aber auch gut ist. Morgen wandere ich nach Ulm,  ihr wisst schon: in Ulm, um Ulm, um Ulm herum… 

13.03.2020/1

Heute morgen um 8.00 Uhr saß ich allein im Gastraum zum Frühstück.  Die Handwerker waren schon alle auf der Baustelle. Gut so. Die Wirtsleute halten eigenes Vieh und haben einen riesigen Garten.  Und dort steht ein Holunderbeer-Strauch. Ich konnte die selbstgemachte Holundebeermarmelade genießen und die kommt fast an die Spezialitäten von meiner Frau dran. Das hat was zu sagen.  Früher habe ich eher den Holunderschnaps nach einem alten Rezept hergestellt.  Meiner Stieftochter habe ich schon letztes Jahr versprochen,  dass wir das mal angehen. Ende August ist gebongt.Die Gastwirtin erzählte mir, dass ich in diesem der 1. Pilger bin. Den Pilgerstempel gab sie mir persönlich. 

13.03.2020/2

Heute mußte ich den ganzen Tagen balancieren,  weil das Wegbegleiter-Wort Balance hieß. Und dazu viel mir spontan ein: wie schaffe ich die richtige Balance zwischen meinen Aktivitäten und dem Wunsch meiner Frau bis zum 67 Lebensjahr zu arbeiten,  obwohl wir gern viel gemeinsam machen? Die Antwort hat ein Sänger gegeben,  aber nicht gesungen,  sondern gesagt: man soll im Leben das machen, was einem besondere Freude bereitet. Ok, als ganz einfach: ich mache beides.  Unternehme viel mit meiner Frau und mit mir…, das nenne ich Balance.  Und als ich hier am Ortsschild von Göttingen vorbeigewandert bin, da denke ich an meine Schwester als Schuldezernentin, die in der schwierigen Coronasituation die Balance finden muss. Sie wird das schaffen. 

13.03.2020/3

Und unterwegs habe ich eine leere gelbe Postsammelkiste gefunden.  Die wird nicht mehr gebraucht, weil die Menschen nicht mehr persönliche und handgeschriebene Briefe schreiben.  Eigentlich schade. Aber vielleicht nutzen wir alle die Coronakrise, um über vieles neu nachzudenken. Ich bin gerade dabei. 

13.03.2020/4

Heute waren es 28,5 Kilometer an Wanderstrecke. Die letzten 6 Kilometer direkt an der Donau und ich habe mich zu einer Sonderpause hinreißen lassen…. Hier in Ulm soll die höchste Kirche der Welt stehen: das Münster.  Ich war noch kurz drin und war beeindruckt von der Dimension,  als ob 3 Kirchen in einer waren. Und schon morgen soll sie geschlossen bleiben.  

13.03.2020/5

Das gibst doch gar nicht: der Jakobsweg läuft direkt am Ulmer Stadion vorbei. Leider nein, ich musste einen kleinen Umweg machen,  der sich gelohnt hat. Ich freue mich schon auf den Besuch von EM-Spielen in München mit den fußballbegeisterten Anhängerinnen und Anhänger aus der Familie.  Dann ist Corona schon Geschichte…, so hoffe ich, so hoffe ich, so hoffe ich. Zum Schluss eine letzte Beobachtung von heute: der Rasen des B-Platzes vom Stadion wird von mehreren Mährobotern gemäht. 

14.03.2020/1

Meine Frau ist erst um 1.30 Uhr von der Geburtstagsfeier der Tochter zurückgekehrt.  Ich wäre gern dabei gewesen. Dafür habe ich geschlummert wie ein Murmeltier im Akzenthotel in Ulm. Aufgrund der aktuellen Lage sind nur noch wenig Gäste im Hotel gewesen.  Ich durfte mich ordentlich für den Weg eindecken. Vom Abendessen hatte ich noch Maultaschen übrig, die ich auch mitgenommen habe. Und wieder musste ich schnell einer lärmenden Stadt entfliehen. Kurz vorm Stadtausgang musste ich dringend Druckstellen- und Blasenpflaster kaufen. Wo wir schon beim Tagesmotto sind „Wunde-r-voll“. Ich habe es mal getrennt geschrieben. 

14.03.2020/2

Im Schneckentempo,  ich hatte solche Schmerzen,  ging es dann an der KZ-Gedenkstätte vorbei. Vorher hatte ich einen rüstigen älteren Herrn getroffen , der mich dann über 2 Kilometer begleitet hat. Seine Frau ist vor vier Jahren verstorben. Er selbst hatte kurz danach einen Oberschenkelhalsbruch und ein Jahr später einen Beckenbruch. Er machte heute NordicWalking. Er sagte, wenn man sich nicht selbst um seine Gesundheit aktiv kümmert, dann wird man auch nicht fit. In der Reha wären einige Weicheier gewesen. Und das sagte ein 81jähriger. Als ich ihm nach seinem Vornamen fragte, sagte er nur 1939. Das verstand ich erst nicht, denn die reden hier komischerweise alle Schwäbisch. Er sagte überlegen sie noch mal: und dann sagte ich etwa „Adolf „? Er nickte. Das hat mich mein ganzes Leben negativ begleitet.

14.03.2020/3

Heute gab es eine riesige Autorallye in der Nähe von Einsingen. Muss das eigentlich heutzutage noch sein? Kommen die Leute nicht selbst drauf oder muss es erst verboten werden. Den Krach musste ich mir kilometerlang anhören. Wenn die schon in Einsingen sind, dann hätten sie lieber einen Singen sollen, das schont die Umwelt.  Auf einer Anhöhe in der Nähe kam ich zu einer riesigen Radaranlage „Multimode-Radar“, von der aus autonomes Fahren sowie weitere Fahrzeugtechniken gesteuert werden. Das habe ich eben gegoogelt. Mein zukünftiger Stiefschwiegersohn kennt bestimmt die Funktionsweise aus dem ff. 

14.03.2020/4

3,5 Kilometer von Einsingen entfernt kam ich in Erbach an. Gleich am Ortsanfang begrüßte mich ein Wirtshausschild. Ich musste kräftig schmunzeln und war dann trotz Schmerzen wundervoll drauf. Ich winkte sogar einer älteren Frau zu, die allein in einem Wintergarten saß. Sie winkte kräftig zurück.  Klasse. Vor lauter guter Laune verpasste ich die Abfahrt und durfte eine Ehrenrunde durch die Stadt machen. An einem Gartenzaun stand ein Mann und fragte: bist du Jakobspilger und hast du mein Schild gesehen? Ich wusste gleich, dass er das Schild auf dem Foto meinte. Im Sommer würde er sich dort in den Biergarten setzen,  seine zwei Halben trinken, und jeden Pilger persönlich begrüßen.  Auch eine Lebensaufgabe. 

14.03.2020/5

Noch auf meiner Dorfschleife kam hinter mir eine ältere Frau mit dem Rad angefahren und rief: sie sind falsch gelaufen… Sie stellte sich mir vor: ich bin die Frau, der sie so nett zugewunken haben und ich habe gesehen, dass sie falsch gelaufen sind.  Dort müssen sie lang und zeigte mit der Hand den richtigen Weg.  Und bleiben Sie gesund und schwupps war sie schon wieder weg.  Hey, was war das denn. Wundervoll. Jetzt kroch ich quasi nur noch und dann kam die Kapelle „Maria Hilf“. Meine Mutter heißt auch Maria und ist leider im Juli 2018 verstorben. Sie hat auch in ihrem Leben viel zu viel gearbeitet.  Und noch mehr. Erst in den letzten Jahren ist sie zur Ruhe gekommen.  In der Kapelle sagte ich laut: Muttern ich bin kaputt und kann nicht mehr.  „Junge“ lass es morgen mal ruhig angehen – du hast doch Zeit. Ich nehme ihren Vorschlag sehr ernst,  denn die heutigen 22,6 Kilometer waren deutlich zu viel,  denn es hatte sich am anderen Fuß auch eine Blase gebildet.  

15.03.2020/1

Bereits am frühen Morgen wurde ich mit hellem Sonnenschein geweckt.  Es sollte ein ganz besonderer Tag werden.  Im Frühstücksraum der Pension Steinle war für mich allein gedeckt.  In der Woche ist die Pension fast immer ausgebucht,  da viele Handwerker auf Montage sind. Mit der Pensionswirtin Frau Steinle kam es zu einem sehr angenehmen Gespräch über Gott und die Welt. Das war nicht Smalltalk, sondern ein ehrlicher Austausch von Ansichten.  Wann kommt es schon vor, dass sich jemand einfach so beim Frühstück dazusetzt. Danke Frau Steinle. Mein 1. Weg führte nach Oberdischingen, wo ich im Stiftungshaus St. Jakobus herzlich empfangen wurde. Dort fand gerade ein Seminar statt und ich bekam gleich eine Einladung zum Mittagessen.  Ich hatte gerade gefrühstückt und musste leider die Teilnahme verneinen.  Die Sonne hat mich richtig gelassen werden lassen und das bei dem Wegbegleiter Wort: Gelassenheit. 

15.03.2020/2

Und kurz vor Rißtissen sah ich auf einem Feld über 50 Schwäne, die sich wohl gerade  von einem Ausflug ausgeruht haben… das hatte ich mir auch vorgenommen,  na ja, ihr kennt mich ja. Auffällig war, dass die Schwäne paarweise gegessen haben, wahrscheinlich haben sie sich viel zu erzählen und es war vielleicht auch etwas dabei, was die anderen nicht hören sollten. Wie im echten Leben.  Auf dieser Wanderstrecke habe ich übrigens 10€ für den nächsten Pilger gespendet, sie waren auf einmal nicht mehr in meiner Hosentasche.  Auf jeden Fall ist das Geld gut angelegt und blieb dabei sehr gelassen.  Hätte ich mich früher geärgert? 

15.03.2020/3

Auf dem Weg nach Rißtissen hielt auf einmal ein Radrennfahrer an und fragte ob ich auf dem Weg nach Santiago wäre und wo denn heute meine Endstation wäre. Ich sagte, wahrscheinlich schon in Rißtissen.  Ob meine geplante Pension auf hat konnte er mir nicht mit Sicherheit beantworten,  er hat mir aber den Weg bestens beschrieben.  Und dann machte er mir ein Angebot: wenn ich auf dem Weg nach Biberach wäre, dann könnte ich bei ihm Station machen. Essen und Trinken wäre frei, nur für die Übernachtung müsse ich bezahlen.  Ich schrieb die Adresse und die Telefonnummer auf.  Was mir hier so passiert….In Rißtissen hatte ich auf einmal wieder Energie und dachte irgendwie komisch gar nicht an die schmerzenden Füße.  Also wanderte ich weiter und weiter. Dann bin ich nach 24,8 Kilometer in Schemmerberg angekommen.  Kaputt, müde und ich wollte keinen Meter mehr gehen. Da erinnerte ich mich an den Radrennfahrer, der mir doch heute so ein schönes Angebot etwas abseits vom Jakobsweg gemacht hat. 

15.03.2020/4

Ich musste jetzt handeln und das habe ich gemacht: am Telefon meldete sich Frau Herzog und ich schilderte meine Situation.  Frau Herzog sagte ihr Mann sei noch gar nicht von seiner Tour zurück,  aber ich hole sie gleich mit dem Wagen ab. Kann aber 10 Minuten dauern. Echt der Hammer.  Ich hatte vorher auf der Karte mir die Entfernung nach Herrishöfen angesehen.  Dann muss Frau Herzog wohl gleich alles stehenlassen haben.  Und schwupps die wupp saß ich im Auto und wurde chauffiert. Im schicken Heim begrüßte mich auch die Tochter Sarah und alles war hier so selbstverständlich.  Ich dusche, ruhte und solle dann zum Abendessen kommen. Ihr Mann war zwischenzeitlich von seiner 120 Kilometer Tour zurück und heißt übrigens Karl Herzog.  Ich habe ihn gleich in den Adelsstand gehoben: Karl, Herzog von Herrishöfen. 

15.03.2020/5

Irgendwie gehörte ich bein den Herzogs gleich zur Familie.  Rosa hatte leckere Nudeln mit Spinat gekocht. Nach dem Tischgebet langte ich kräftig zu: zwei Portionen + Apfel und Banane. Wir führten gemeinsam ein sehr,  sehr herzliches Gespräch.  Karl ist schon von hier aus nach Santiago de Compostels gewandert.  2500 Kilometer!!! Er hat mich 48 seine Firmenanteile verkauft und hat mit 58 seine beratende Freiberuflichkeit aufgegeben.  In seinen besten (?) hat er 75-90 Stunden pro Woche gearbeitet. Rosa ist die richtig gute Seele in der Familie und hier hat Familie noch Bedeutung.  Hut ab. Karl erzählte mir von einer gemeinsamen Pilgertour mit seiner Frau von Görlitz nach Fulda. Na meine liebe Frau, Lust?Beide sind stark in der Kirche engagiert und Karl ist der Mann für alle Fälle in der Kirche und leitet den Bauausschuss.  Genauso wie mein im Jahr 2011 verstorbener Vater in Lauenstein. Parallelen ohne Ende. Schöne Erinnerungen für mich und genug Stoff für die Nacht. 

16.03.2020/1

Gestern bei den Herzogs wurde ich noch operiert! Karl stach mit einer Nadel durch meine Blasen durch und zog einen Faden jeweils durch. Die Flüssigkeit aus der Blase kam raus und durch den Faden konnte das Loch nicht wieder zuwachsen. Eine klasse Methode, ich bin heute wieder gewandert wie ein junger Gott, also nicht Jünger Gottes. Mit einem herzoglichen Frühstück wurde ich bestens verwöhnt. Rosa hatte gestern auch meine Sachen gewaschen. Die Herzogs wollten auch kein Geld von mir. Ich fragte dreimal nach und dann musste ich es nach alter Pilgerregel annehmen.  Das war alles so lieb bei den Herzogs. Und es passt zum Tagesmotto: Wohlfühlen.  Und ich habe einfach so, später in der Stadt einen Blumenstrauß zur Auslieferung an die Herzogs bestellt.  Danke. Danke. Danke. 

16.03.2020/2

Auf meiner heutigen 27,4 Kilometer langen Wanderstrecke habe ich wieder viel alltägliches und ungewöhnliches gesehen: da gab es ein Plakat für ein Konzert von Status Quo (R) in der ratiopharm Arena von Neu-Ulm. Gibt es da dann gleich die Kopfschmerztabletten für Konzertbesucher dazu? Oder der riesige Park an Ladestationen für die Postautos und die Feststellung,  dass man ein Feuerwehrzufahrt-Schild nicht versetzen kann und dafür den Strauch blöd zurechtschneidet. 

16.03.2020/3

Oben von einer Terrasse rief ein älterer Herr runter: buen camino (übersetzt=guter Weg). Ich bedankte mich höflich und wunderte mich, dass ich diesen Gruß schon so häufig bekommen habe. Hier sind die alle so in die Jakobsweg-Pilger verliebt. Schön. In einem Waldstück sägte ein Waldarbeiter fleißig.  Er sah mich und unterbrach seine Arbeit.  Im Gespräch ergab sich, dass der Festmeter Buche ca. 65 € kostet. Er hatte sich einen Sammelschein für am Boden liegendes Holz besorgt. Alle Äste, die mindestens 8cm dick sind, durfte er in Holzstücke schneiden.  Dünnere Äste verbleiben auf dem Waldboden.  Warum? Verrate ich nicht.  Einfach das Buch „Das Leben der Bäume “ lesen. Grins. Na ja, und dann habe ich noch ein Kreuz mit vielen Bändchen gesehen.  Wenn man sich für die Fastenzeit etwas vorgenommen hat, dann darf man ein Band an das Kreuz binden. Ihr dürft raten, welches Band meins ist.Heute war mein Wohlfühltag: Sonne pur, keine Fußschmerzen und beste Unterbringung im Landhotel zur Linde in Steinhausen.

17.03.2020/1

Gleich vorweg: ich hatte mich vor zwei Tagen dazu hinreißen (das heutige Wegemotto heißt hinreißend) lassen, meine Pilgerwanderung nach Hericourt in Frankreich über die Schweiz zu verlängern.  Die bereits gebuchte Fahrkarte habe ich vor zwei Stunden wieder storniert.  Offiziell ist am Freitag meine Pilgerstrecke ja auch geschafft. Die Rückfahrt mit der Bahn ist für 14:40 Uhr ab Koblenz fest gebucht und ein Verleger will mich in den nächsten Tagen zwecks Vermarktung meiner Erlebnisse sprechen und hat mir ein 1. Klasse Ticket geschickt.  Der letzte Teil ist leider erfunden…. Also bekommt ihr von mir nur noch bis Freitag meine Tagesberichte. 

17.03.2020/2

Die Glocken von Rom… nein, es waren die Glocken der Wallfahrtskirche in Steinhausen, die alle Viertelstunde geläutet haben, so dass ich sehr unruhig geschlafen habe und bereits um 7.30 Uhr beim Frühstück war. Das ganze Hotel hatte nur wenig Gäste,  die verständigerweise weit auseinander sitzen mussten.  Ich kam mit einer Mitfünfzigerin ins Gespräch.  Sie arbeitet im Qualitätsmanagement  und betreut Altenheime.  Sie hat bis vor wenigen Jahren als leitende Pflegekraft gearbeitet.  Jetzt ist sie von Montag bis Donnerstag auswärts bei den Altersheimen und Freitag ist Bürotag. Ich war natürlich sehr direkt und fragte, ob denn das der Ehe schadet. Und sie sagt genau das Gegenteil: früher kam sie abends von der Arbeit kaputt nach Hause und jeder hat seinen eigenen Trott gehabt. Die Gespräche wurden weniger. Heute würde sie herzlich Montags verabschiedet.  Ihr Mann hat seine Vereinstermine auf Montag bis Mittwoch gelegt und wenn sie Donnerstag kommt, dann begrüßt er sie schon an der Hofeinfahrt und trägt den Koffer rein. Jetzt haben wir uns viel mehr zu erzählen. Wie wahr.
Mit reichlich Proviant vom Landhotel machte ich mich auf dem Weg.  

17.03.2020/3

Ach so,  schon wieder was vergessen: ich habe schon wieder ein Paket richtig Heimat aufgegeben.  Mit den Erkenntnissen von heute Abend ist die Frage, wer schneller zu Hause ist.
Nach den ersten 5 Kilometern überholte mich ein Trecker mit einem Holzanhänger. In diesen Situationen pflege ich immer höflich zu grüßen. Sohn und Vater grüßten zurück.  Doch das war ja noch nichts außergewöhnliches, außergewöhnlich war das der ca. 12jährige Sohn den Trecker souverän steuerte. Und vorn kurz vor der Landstraße fand dann der Fahrerwechsel statt….Und dann war noch der Strauch der in 4 m Höhe aus einem Abflussrohr unterhalb des Bahntunnels herauswuchs. 

17.03.2020/4

Nach 25,2 Kilometern bin ich dann in Bad Waldsee angekommen.  Hier ist übrigens der Firmensitz des größten Herstellers von Wohnmobilen „Hymer“, der Mercedes unter den Wohnmobilen.  Das Werksgelände bekommt gerade eine Fabrikerweiterung. Ja, wie überall sind jetzt die Städte leer, das Hotel hat das Restaurant nur noch für die neun Hotelgäste für eine Stunde aufgemacht. Jeder Gast hatte seinen eigenen Tisch. Es ist hinreißend schade, dass nur wenige Gäste so tolle Zimmer noch genießen dürfen.  Und in das Bett werde ich mich gleich legen.  Übrigens der Spruch vom anderen Bild klebte an der Eingangstür zu meinem Hotelzimmer.  Ich bin eben der Wanderbruder.

18.03.2020/1

Gestern konnte ich nicht richtig einschlafen, ist irgendwie komisch,  dass die Pilgerwanderung bald zu Ende ist. Dafür hatte ich gegen 23.30 Uhr noch eine unfreiwilliges Hörspiel…. Nebenan bei mir im Hotelzimmer hörte ich, das ein Telefon klingelte.  Ein Mann ging dran. Nach unter 15 Sekunden (!) hörte ich den Mann laut ins Telefon schreien: hör endlich auf damit jedes Telefongepräch mit etwas Negativem zu beginnen… der Mann schrie weiter: ich kann es nicht mehr hören.  Und in dieser Lautstärke gab es heftigen Wortwechsel. Die Stimme des Mannes hörte sich etwas verschwommen an, woran das wohl gelegen haben mag. Und die Glocken gaben auch hier viertelstündlich ihren Senf dazu.

18.03.2020/2

Morgens beim Frühstück sah ich einen dicken Mann mit roter Birne, um die 40 Jahre am Laptop, neben ihm sein Handy, sitzen.  Er war Mr. Wichtig. Zu mir rüberblickend sagte er, dass um 9.00 Uhr ein Telefonmeeting stattfindet und er noch letztes bearbeiten müsse.  Nebenbei schob er sich ein Hörnchen nach dem anderen rein. Na ja, ihr könnt Euch auch bestimmt schon denken, das war der Schreihals von gestern Abend.  Er hat Glück, denn beim Telefonmeeting riecht man die Bierfahne nicht.Eigentlich ist dieser Mensch zu bedauern….Besonders freundlich hingegen verabschiedete sich die Chefin vom Grünen Baum bei mir. Eine bodenständige attraktive Geschäftsfrau,  die einen Beatle fährt, mit ihrer eigenen Einschätzung zur Krise: da können die Leute endlich zu Hause mal wieder aufräumen und renovieren und vielleicht gibt es ja dann nächstes Jahr einen reichen Kindersegen, wenn die Leute sonst nichts zu tun haben.  Witzig,  aber was hat das mit meinem Wort „Stärke “ zu tun?

18.03.2020/3

Also das Wort Stärke kommt auch in den Themenspeicher, denn für mich ist auch mal Schwäche zeigen, eine Stärke.  Das Thema Kinderkriegen beschäftigte mich jedoch den ganzen Tag. Ist da was dran, kommt das wirklich? Da bin ich mal gespannt,  ob das eintritt. Und wie es der Zufall wollte,  stand ich nach 25,8 Kilometern in Ravensburg vor dem Schaufenster einer Kinderarztpraxis und dort stand groß „Hebammerei“, also passend zu den möglichen Massenentbindungen im nächsten Jahr.  So, dass soll es für heute schon gewesen sein: ist das für Euch auch ein schöner Nachtgedanke?

19.03.2020/1

Ich bin gesund! Auf meiner Pilgerwanderung hatte ich ein pures Abenteuererlebnis und habe jetzt ein nicht mehr funktionierendes Nasshandy. Bin wieder heil nach Hause gekommen und schreibe jetzt das Erlebte aus den letzten beiden Tagen. Fotos gibt es dazu leider nicht, ich versuche die jeweilige Situation zu beschreiben.
Im Hotel Rebgarten in Ravensburg habe ich wunderbar geschlafen und es wurde ein Frühstücksbuffet vom Feinsten aufgetischt. Meine Theorie von gestern, dass es mehr Schwangere geben wird, wurde mit dem Gespräch mit der Rezeptionisten erweitert: vielleicht gibt es auch mehr Scheidungen, weil Eheleute sich mehr sehen.

Fotobeschreibung aus der Erinnerung (Nasshandy):Das Bild zeigt eine leere Stadt in vollem Sonnenschein, Straßencafe´s sind leer und Geschäfte zu. Nur kurz vor der Kirche steht eine ältere Frau mit ihrem „dunklen“ Hund. Ihr wisst ja, ich bin farbenblind.

19.03.2020/2

Die Muschel-Wegzeichen hatte ich gleich zu Beginn verloren, dass sollte mir auch später zum Verhängnis werden… Ich zwitscherte auf meinem Weg an einem ca. 6 m breiten fließenden Gewässer das Lied: Bruder Jakob, Bruder Jakob schäfst Du noch, schläfst Du noch. Hörst Du nicht die Glocken, hörst Du nicht die Glocken bimbambum. Passt doch; Weg nicht gefunden, weil ich träume; Glocken wieder in der Nacht gehört und Jakob passt zum Jakobsweg und der Wander-„Bruder“ ist unterwegs.  Auf dem Weg kam ich an einer Slacklinie vorbei, dass ist ein gespanntes Drahtseil über diesem Gewässer. Hatte ich vorher noch nie gesehen, da können Sportler wie im Zirkus rüber balancieren… Ich musste auch unter einer stark befahrenden Brücke gehen und da habe ich zwei Obdachlosenquartiere gesehen. Warum schaffen wir es in Deutschland nicht, dieses zu ändern, dass hier Menschen so unwürdig leben müssen.

Fotobeschreibung aus der Erinnerung (Nasshandy):Auf der gegenüberliegende Uferseite stand zwischen zwei Brückenpfeilern ein mindestens 2 Personen-Zelt. Direkt daneben ein altes Dreier-Sofa. Im Hintergrund standen zwei Einkaufswagen und ein Fahrrad. Auch eine Feuerstelle war zu sehen.

19.03.2020/3

Richtung Oberzell traf ich auf einem Waldweg ein Ehepaar. Wir unterhielten uns über Corona und dass die Menschen wieder demütig werden sollten. Die Frau sagte, dass die Gräfin Dönhoff das Buch „Zivilisert den Kapitalismus“ geschrieben hat und dieses voll auf die heutige Lage zutrifft. Das Buch werde ich mir mal bestellen. In Brochenzell sollte ich mit der Erkenntnis von heute meinen letzten Pilgerstempel kriegen, weil sonst alle Touristmusinformationen und Kirchen geschlossen wurden. Auf dem dortigen Friedhof dachte ich bin im Einkaufsmarkt, da standen doch fünf Karren in Reih und Glied und jeder Karren hatte eine eigene Kette zu einer Halterung wie bei den Einkaufswagen. Erst wenn man ein Euro reinsteckt löst sich die Kette. Oh je, jetzt müssen Kirchen schon auf Friedhöfen zu solchen Maßnahmen greifen.

19.03.2020/4

Und meine Erlebnisse waren lange noch nicht zu Ende. Auf einem Teil des Weges musste ich auf der Straße gehen. An der Seite war ein „Wachmacher“-Streifen, also wenn man mit dem Auto rüberfährt, dann gibt es ein Rüttelgeräusch. Ihr wisst schon, was ich meine. Aber Ihr wisst bestimmt nicht, dass dieser Streifen aus im Wechsel 3 und 4 Punkten besteht. Verstanden? Es war wieder herrlichster Sonnenschein und ich konnte auf der Terrasse eines schönen Einfamilienhauses ein Mann und eine Frau auf Liegestühlen sehen, die sich sonnten. Ich rief rüber: so lässt es sich aushalten… Sichtlich überrascht rief die Frau: und Pilger ein Kaffee gefällig? Ich überlegte nur kurz und schwupp saß ich auf der Terrasse. Ein aufgeschlossenes Ehepaar interessierte sich richtig für meine bisherige Pilgerwanderung. Natürlich mussten sie sich auch die Spezialbehandlung von Blasen von mir anhören…. Echt total lieb gewesen. Danke Susi und Simon. Und ab da führte mich meine Wegstrecke durch Obstplantagen, Obstplantagen und wieder Obstplantagen durch. Eine Hochburg von „Gärtner Pötschke“….

19.03.2020/5

Und dann war dann noch die piekfeine, aufgetakelte Mitdreißigerin, die mit „Einmal-Plastikhandschuhen“ die Mülltonne von der Straße auf das Grundstück zog.
Jetzt habe ich schon so viel geschrieben und Euch das Tagesmotto „Sicherheit“ noch gar nicht gesagt. In den nächsten zwei Stunden sollte ich auch dieses Wort vergessen haben. Es war ja immer noch der Tag, an dem ich immer wieder „Jakob“ gesucht habe. An einer Wegkreuzung folgte ich einem vermeintlich richtigen Muschelschild und traf nach einem Kilometer zwei ältere Frauen, die mich auch nach dem Weg fragten. Laut der App MapsMe sollte mein Endziel „Markdorf“ in nordwestlicher Richtung liegen. Ich war wohl richtig, und hüpfte über ein 1/2 Meter breites Bächlein locker drüber. Was ich nicht sah, dass der Boden des gegenüberliegenden Ufers aufgeweicht war. Ich stürzte und fiel auf mein linkes Knie. In meiner ersten Reaktion fasste ich am Draht eines Weidezauns und bekam natürlich einen „gewischt“. Egal: aufstehen und weiter wie manchmal im Leben.

19.03.2020/6

Und irgendwie war ich in der falschen Gegend. Als nächstes vor mir ein Bach in einer breite von ca. 2 Meter. Rüberspringen ging mit Rucksack nicht. Von weitem sah ich einen Jägerstand und das war jetzt erstmal mein Ziel, denn ein Jäger fährt grundsätzlich mit seinem Auto dort vor. Also suchte ich eine Möglichkeit, diesen Bach zu überqueren. Glück gehabt, nach 100 m lag ein Ast, schon etwas verrottet, über dem Bach. Ok dachte ich, das wärs. Schwupp, war ich auf der anderen Uferseite. Hinter mir knackte der Ast weg, der Rückweg also dicht. Und dann stand ich auf einmal in einem Feuchtwassergebiet, unter mir Schilf. Bis zum Schuhschaft sackte ich immer wieder ein. Ich musste hier einfach raus… Dann schon wieder ein Bächlein, richtig schön klein. Also dachte ich, da jetzt durch, auch wenn Wasser in die Schuhe läuft. Gesagt getan: und ich sackte auf einmal bis zur Brust in das Wasser. Das sind bestimmt 1,30 Meter Tiefe gewesen. Das Wasser war eigentlich nicht so kalt. An dem Schilf zog ich mich raus und musste bis zum Jägerstand gefühlt noch durch ca. 50 cm hohes Wasser mit Schilf gehen. Der Weg nahm keine Ende. Es waren wohl 500 Meter, im Kopf hatte ich Kilometer… Dann habe ich aus dem Themenspeicher das Wort „Stärke“ geholt und gesagt: Bernhard Du schaffst das. Nach 30 Minuten war ich endlich aus dem Dilemma raus. Total durchnässt. Für das letzte Foto funktionierte das Handy noch, dann hat es sich vor Nässe verabschiedet. Nach noch vier Kilometern war ich beim Hotel angekommen, ich war der letzte und wohl einzige Gast. Mein Bluzuckerspiegel war runter, es gab kein Essen mehr. Ich nahm mir zwei Äpfel aus der Schale bei der Rezeption; ich war die Ruhe selbst. Eben Adrenalin. Nach dem Duschen waren die Lebensgeister wieder da. Das Zimmer hatte diesmal als Ausstattung auch ein Tablet.  Was für ein Zufall. Ich konnte meine Frau benachrichtigen. Und 33 Kilometer standen auf dem Tagestacho.

20.03.2020/1

Um 7.30 Uhr bekam ich mein fürstliches Frühstück im Hotel Wirthshof ins Zimmer gebracht. Eine Vorsichtmaßnahme aufgrund von Corona. So etwas hatte ich noch nie: 5 verschiedene Brötchen, Croissants, Aufschnitt, Ei, Kaffee, Quark; alles gefühlt bestimmt für drei Personen. Also ein guter Start inkl. Wegzehrung für den ganzen Tag.  Meine Online-Fahrkarten ließ ich über das Hotel ausdrucken. Und wenig oder besser gesagt keine Handynutzung war unfreiwillig Entspannung und Ruhe pur. Und weiter bin ich durch Obstplantagen gelaufen, an einer Wegstrecke stand ein großes Fass: „Unterschlupf“ für Pilger wenn es regnet. Nach 14 Kilometer inkl. einer Ehrenrunde kam ich zur Fähre von Meersburg nach Konstanz. Während der 25-minütigen Färüberfahrt saß ich vorn am Bug und genoß sichtlich die Sonne und den Fahrtwind. Über dem Bodensee lag ein leichter Schleier. Bodennebel eben. Kaum zu sehen war die Insel Mainau, dieses Bild erinnerte mich an ein schwieriges Puzzle mit einer riesigen Tulpenlandschaft von der Insel aus meiner Kindheit. Es war auf einmal wieder präsent. Die letzen 10 Kilometer musste ich schon stramm gehen, damit ich den gebuchten Zug nicht verpasse. Hier in Konstanz war alles Richtung Schweiz abgeriegelt. Alle Stempelstellen waren dicht. Und dann habe ich mir am Schwarzmeer-Kebap-Imbiss am Bahnhof Konstanz den wichtigsten Stempel geholt: die Bestätigung meines letzten Ziels.

20.03.2020/2

Von Konstanz fuhr der Zug durch den wunderschönen Schwarzwald bis nach Offenburg. Dort hatte ich 30 Minuten Aufenthalt und konnte vor dem Bahnhof beobachten, dass innerhalb dieser Zeit fünf Leergut-Flaschensammler den gleichen Papierkorb durchsucht haben und dass in jedem 3. vorbeifahrenden Auto geraucht wurde. Ja und noch eine Statistik von meiner gesamten Pilgerwanderung will ich Euch nicht vorenthalten: innerhalb von 50 Metern liegen in Bayern zwei Zigarettenschachteln am Wegesrand oder im Graben, in Baden Württemberg war es eine Schachtel; mit Ausnahme im Bodenseekreis, da waren es sogar drei Schachteln innerhalb dieser 50 Meter. Einfach nur Dreckschweine. Ach so noch eine Begebenheit aus dem Zug nach Offenburg: kurz vor dem Ziel stiegen noch zwei Lokführer ein. Der eine war etwas unruhig, ich weiß warum. Wenn ein Mann auf Toilette muß dann sagt er so beiläufig: ich muss mal für kleine Jungs oder für Königstiger; aber der eine Lokführer sagte: ich muss mal für kleine Lokführer. Witzig.Während der gesamten Fahrzeit (ohne Handy natürlich) konnte ich durch mein kleines Notizbuch alle Erlebnisse noch mal genau Revue passieren lassen. Es war absolut ruhig im „Geisterzug“, da ich mir mit nur drei Gästen den Waggon geteilt habe. Ich bin dann sowas von entspannt um 21.35 Uhr in Hildesheim angekommen. Meine Frau hatte mich abgeholt und mir noch einen Nudel-/Metttopf zum Essen gemacht. Und nach langen Erzählungen ging Wanderbruder Pilger Bernhard zu Bett.

21.03.2020/1

Jetzt am Tag 1 nach der Pilgerwanderung eine Zusammenfassung:

  • 16 Etappen
  • 448 Wanderkilometer (381,8 Kilometer lt. Plan)
  • 28 Kilometer im Durchschnitt pro Tag gewandert
  • 15 Wegbegleiter-Karten genutzt (Danke an meine Frau)
  • 3,7 Kilo abgenommen
  • 2x in einer Badewanne „gesuhlt“
  • …. Euro pro Tag investiert
  • Besitzer eines Nass-Handys

Meine persönlichen fünf Ziele habe ich mit größter Zufriedenheit erfüllt. Dazu gehörte ja nicht die Wanderstrecke von Nürnberg – Konstanz selbst. Meine Wanderschuhe haben mich getragen und dabei
bin ich gefühlt für mehrere Monate in eine andere Welt abgetaucht und habe die vielen kleinen Erlebnisse erleben dürfen.
Ich danke meiner Frau, meinen Kindern, meiner Familie, meinen Wegbegleitern, meinen Freunden und Bekannten für die fleißigen Einträge ins Gästebuch und meinem zukünftigen Verleger.
Bleibt alle wohlbehütet!Euer Wanderbruder Bernhard Kruppki

29.03.2020/ Reise-Update 1

Jetzt am Tag 9 nach der Pilgerwanderung ein kurzes Update:
-Meine guten Vorsätze halte ich aktuell weiter ein.-./. 4,4 Kilogramm Gewicht-Mein Handy funktioniert wieder. Der TIPP im Internet, dass man das Handy vollkommen in Reis legt und die „Tupperdose“ schließt, war perfekt. Reis entzieht die Feuchtigkeit. Nach 4 Tagen wollte das Handy es noch mal mit mir versuchen.
-Es ist auch heute noch unbeschreiblich, wie diese Pilgerwanderung in meinem Kopf und in meinem Herz nachwirken. Wunderbar.
Bleibt gesund.Herzliche GrüßeBernhard Kruppki