7.45 Uhr, Werne. Es nieselt. Nicht richtig Regen, nicht trocken – dieser endlose Zwischenzustand, in dem Jacken langsam aufgeben und Hosen an den Waden kleben. Der Himmel grau, die Laune trotzdem gut. Der Kaffee noch warm, der Rucksack gepackt – los geht’s. Erst durch Wohnsiedlungen, vorbei an frisch gewaschenen Autos, Einfahrten und Mülltonnen in Reih und Glied.

Dann das Amazon-Werk, riesig, metallisch, 1.200 Mitarbeiter, 24/7 Betrieb. Hier surren Förderbänder, während ich mich Schritt für Schritt vorarbeite. Der Kontrast könnte größer nicht sein – drinnen Highspeed-Logistik, draußen ein Pilger mit Nieselwasser im Gesicht und Abenteuer im Kopf.

Hinter dem Gelände biege ich ab zum ehemaligen Bergwerk Romberg. Viel ist nicht geblieben – nur Asphalt, Gras, und eine Geschichte, die tief unter der Erde ruht. Der Schacht Romberg, später Schacht Lerche genannt, wurde 1983 abgeteuft, kam 1993 zum Bergwerk Haus Aden/Monopol, dann 1998 zum Bergwerk Ost – und im selben Jahr war Schluss. Ein Schacht mit 7,5 Metern Durchmesser, heute längst verfüllt. Nur noch ein Rohr ragt aus dem Boden – stummes Mahnmal einer Ära. Hier haben Menschen geschuftet, wo ich heute durch Pfützen laufe.

Der Weg bleibt asphaltiert, glänzt feucht im Dunst. Ich passiere die im Umbau befindliche Jugendherberge am Cappenberger See – Bagger, Planen, Bauzäune – und gleich dahinter öffnet sich das Ufer. Der See liegt still da, in feinem Regen, das Wasser wie ein Spiegel aus Zinn. Kein Mensch unterwegs, nur das leise Prasseln auf meiner Kapuze.

Weiter nach Lünen – und da steht sie: die legendäre Persiluhr! Ein Stück Reklamegeschichte mitten im Ruhrpott. Der Henkel-Konzern hat diese Uhren einst in ganz Deutschland aufgestellt – sauber, glänzend, zeitlos. Und der passende Spruch dazu?
„Persil bleibt Persil – da weiß man, was man hat!“
Ich lache laut. Heute weiß ich auch, was ich hab: kalte Finger, und gute Laune.

Durch Gahmen, Brechten, vorbei an dampfenden Schornsteinen und grauen Straßen, zieht sich mein Weg Richtung Zeche Minister Stein. Und da steht er schließlich: der Förderturm, schwarz, stolz, monumental. Ein stählerner Riese gegen den grauen Himmel – Sinnbild einer ganzen Region. Ich bleibe stehen, atme tief ein. Nieselregen tropft von der Kapuze, aber es fühlt sich an wie Applaus.

Nach 26,9 Kilometern erreiche ich Dortmund. Wie immer: Foto vorm Deutschen Fußballmuseum – Pflichttermin. Ich war ja erst am 1. Oktober hier, beim Ende meines Jakobswegs von Höxter nach Dortmund. Heute: neuer Abschnitt, neue Etappe, gleiches Herzklopfen.

Dann mit dem Zug zurück nach Werne, Motor an, Wohnmobil nach Vorhalle umgesetzt – direkt am Bahnhof. Drinnen dampft der Gemüseeintopf, liebevoll vorgekocht von meiner Frau. Draußen tropft der Regen, drinnen duftet’s nach Zuhause. Ein Löffel Eintopf, ein Schluck Ruhe, und das Wissen: Jeder Kilometer lohnt sich – auch im Nieselregen.

Heute war kein Tag für schöne Fotos, sondern für echtes Wandern. Grau, nass, ehrlich. Ein Tag, an dem der Jakobsweg keine Postkarte ist, sondern ein Spiegel. Und genau deswegen war er perfekt.

Von Bernhard Kruppki

Jahrgang 1963, Sparkassenbetriebswirt, jetzt Pensionär, 1. Vorsitzender, Pressewart und stv. Wanderwart beim SC Barienrode e.V., Gesetzlicher ehrenamtlicher Betreuer von neu: fünf lieben Menschen.