Der Tag begann mit einer Zugfahrt, die klang wie Routine, sich aber schnell in ein Abenteuer verwandelte. Werne – Münster, halbe Stunde, Brötchen in der Hand, Rucksack auf dem Schoß. In Münster ausgestiegen, raus aus dem Bahnhof, rein ins Pilgerleben – dachte ich. Stattdessen: endlose Wohngebiete, frisch geteert, steril, kein Hauch von Pilgerromantik. Der Weg führte vorbei an Gartenzäunen, Carports und Gassi-Gehenden. Und als wäre das nicht genug, war das Preußen Münster Stadion auch noch eine Großbaustelle. Überall Zäune, Lärm, Staub. Spirituelle Einstimmung? Eher Baulärm mit Betonbeilage.
Aber dann, ein paar Kilometer weiter, endlich Hiltrup – und die Welt atmet wieder. Hier stehen die Hiltruper Missionare, ein katholischer Orden, der weltweit Bildung, Hilfe und Hoffnung verbreitet. Gleich daneben thront die Deutsche Hochschule der Polizei – klingt wichtig, sieht aber aus wie eine Festung. Ich hab mich lieber leise vorbeigeschlichen, man weiß ja nie, ob Pilger dort als Sicherheitsrisiko gelten.
Dann endlich: der Hiltruper See. Ein Stück Natur, das den Asphalt vergessen lässt. Wasservögel, Herbstlicht, weiches Ufer – genau so stellt man sich das Münsterland in Bestform vor. Von hier an lief’s rund. Der Weg führte weiter Richtung Süden, durch Felder, über Alleen, bis nach Rinkerode, einem echten „Golddorf“. Den Titel gibt’s im Wettbewerb „Unser Dorf hat Zukunft“ – und der passt. Alles sauber, gepflegt, lebendig, Menschen mit Stolz in den Augen.
Hinter Ossenbeck dann ein goldener Moment im wahrsten Sinne: die Jakobsmuschel am Wegesrand! Und das Beste: Genau hier stand gestern der „Wanderer“ aus dem Pilgerforum, der mir ein Foto geschickt hatte. Heute bin ich an der gleichen Stelle – Zufälle, die man nicht planen kann.
In Herbern hab ich mich dann auf die Suche nach dem legendären Pilger-Kühlschrank gemacht – dieser sagenhafte Ort, an dem es gratis Getränke für Pilger geben sollte. Tja, leider Geschichte. Kühlschrank weg, Durst bleibt. Dafür aber der Knaller: Im Kreisel von Herbern steht ein alter Verkehrsblitzer, umgebaut zum Jakobswegweiser. Wenn das kein göttlicher Humor ist! Endlich mal ein Blitzer, der zeigt, wo’s langgeht, statt wo’s zu spät ist.
Und dann kam’s dicke: Stadtlauf in Herbern! 2.000 Läufer, Musik, Trubel – und ich mitten durch. Zwei Kilometer lang verlief meine Pilgerstrecke direkt auf der Rennroute, vorbei am Schloss und Golfplatz. Rasseln, Zurufe, Applaus – und ich, mittendrin im Adrenalin. Für einen Moment hab ich ernsthaft überlegt, ob ich ins Ziel mitspurte. Kein Wunder, dass am Ende 40,21 Kilometer auf der Uhr standen. Ich war komplett am Limit – aber stolz.
Abends schrieb mir ein Fußballtrainer, mit dem ich unterwegs in Kontakt war. Er arbeitet bei der Bundeswehr und meinte: „Ich hab die 30-Kilometer-Märsche damals gehasst.“ Verständlich – 20 Kilo Sturmgepäck auf dem Rücken, Stiefel an den Füßen, Kommandos im Ohr. Da hab ich’s mit meinem Tagesrucksack und den Barfuß-Schuhen doch deutlich besser. Ich darf laufen, weil ich’s will – nicht, weil’s einer befiehlt. Und das fühlt sich verdammt gut an.
Ein paar Umwege mussten sein, teils direkt entlang der B54, weil die Originalstrecke noch länger gewesen wäre. Nicht schön, aber Pilgern heißt auch: Kompromisse gehen, Hauptsache weiter. Und ehrlich, wenn’s hier Busse gegeben hätte, hätte ich heute nicht Nein gesagt.
Zurück in Werne, endlich das Ziel erreicht – und dann das Beste: Soletherme! Dieses Mal mit Badehose, versteht sich. Nach 40,21 Kilometern ins warme Wasser eintauchen, Muskeln entspannen, Seele baumeln lassen. Es gibt nichts Besseres.



















