Manchmal schreibt das Leben Geschichten, die besser sind als jeder Plan. Heute war genau so ein Tag. Eigentlich wollte ich gerade in die Altstadt von Chemnitz wandern, die 2025 als Europäische Kulturhauptstadt glänzen wird, als mein Handy klingelte. Der Anrufer? Heinz Werner Lehmann, der Ehrenvorsitzende des Sächsischen Jakobsweg e.V. – und ich? Spontan wie immer, habe ich sofort den Kurs geändert. Zwei Kilometer Umweg? Kein Problem! Meine Frau ist meine spontanen Aktionen längst gewohnt.
Heinz Werner und seine Frau empfingen mich herzlich bei sich zu Hause – mit Kaffee, Kuchen und einer Atmosphäre, die sofort das Gefühl von Vertrautheit vermittelte. Schnell wurde klar: Hier saß nicht nur ein Pilger, sondern eine Legende. Heinz Werner, studierter Informatiker – oder wie es im Osten hieß, Fernmeldetechniker – ist mit seinen 76 Jahren ein Mann voller Geschichten und beeindruckender Erlebnisse.
Der Mann, der die Wende voraussah
Heinz Werner hat nicht nur den Jakobsweg dreimal bis nach Santiago de Compostela bewältigt, er ist auch ein Mensch mit Weitblick. Er sagte die Wende voraus – nicht mit einem Orakel, sondern mit klarem Verstand. Seine Erfahrungen und Erzählungen ließen mich immer wieder staunen. Besonders spannend fand ich seinen Bericht über die Küstenroute des Jakobswegs, die er als die herausforderndste von allen beschreibt. Doch Heinz Werner gibt niemals auf.
Ein Wegewart mit Mission
Auch heute ist Heinz Werner noch aktiv als Wegewart für den Chemnitzer Abschnitt des Jakobswegs unterwegs. Seine Leidenschaft geht dabei weit über das Normale hinaus. Regelmäßig fährt er mit dem Fahrrad die Strecken ab, stellt sich im wahrsten Sinne des Wortes auf den Sattel, um Wegweiser zu erneuern, und trotzt so manchem Hindernis – selbst dem Vandalismus, der eine Infotafel an Silvester zerstörte.
Bis Rom: Unvergessliche Erlebnisse
Besonders leuchteten Heinz Werners Augen, als er von seiner Fahrradtour nach Rom erzählte. Der Moment im Petersdom, als ein Pater seinen Eintrag im Pilgerbuch mit Tinte und Feder verewigte, muss magisch gewesen sein. Ebenso bewegend: die Absolution in einer kleinen Kapelle, die er mit seiner Frau und Freunden erlebte. Diese Geschichten brachten das Gefühl der Pilgerreise direkt in mein Herz.
Eine Schatzkammer voller Erinnerungen
Ein absolutes Highlight meines Besuchs war der Blick in Heinz Werners persönliche Schatzkammer: ein zehn Quadratmeter großes Zimmer, gefüllt mit Erinnerungsstücken seiner Reisen. Pilgerstäbe, Muscheln, Karten, Fotos – hier stecken Jahrzehnte voller Abenteuer und Emotionen. Im Vergleich dazu wirkt meine kleine Schatzkiste zu Hause geradezu bescheiden.
Ein Abschied mit Pilgersegen
Unser Gespräch hätte ewig dauern können, doch irgendwann musste ich weiterziehen. Was bleibt, ist die Erinnerung an eine beeindruckende Begegnung. Heinz Werner hat mich für meine Berichte auf Wanderbruder.de geadelt und möchte sie im Verein verbreiten. Ein größeres Kompliment kann ich mir nicht vorstellen.
Chemnitz mag bald Europäische Kulturhauptstadt sein – aber für mich war Heinz Werner Lehmann heute der kulturelle Höhepunkt.